Wenn das Leben zur Zerreissprobe wird – und trotzdem Freude schenkt: Danielas Geschichte
2018 erhielt Daniela die Diagnose Brustkrebs. Nach einer brusterhaltenden Operation und einer harten Chemotherapie und Bestrahlung folgte ein erneuter Schock: Der Krebs hat gestreut. Heute lebt die 58-Jährige in Hinwil und engagiert sich im Verein für Menschen mit metastasiertem Brustkrebs.
Daniela begrüsst uns mit Krücken in ihrer hellen Wohnung in Hinwil. Nach fünfeinhalb Jahren hat sie gelernt, sich mit den Gehhilfen sicher zu bewegen – doch jeder Schritt kostet Kraft. Auf dem Esstisch im Wohnzimmer leuchten Hortensien, Danielas Lieblingsblumen, daneben liegen frische Gipfeli. Diese kleinen Details erzählen von ihrem Leben, das sie sich trotz ihrer Krankheit bewahrt hat. “Manchmal wünschte ich mir so sehr, dass ich nur einen Unfall gehabt hätte”, sagt Daniela mit einem leichten Kopfschütteln, das mehr Melancholie als Bitterkeit verrät. Ihre Worte spiegeln die Schwere ihrer Realität. Der metastasierte Brustkrebs hat ihr Leben drastisch verändert, doch Daniela hat sich entschieden, nicht nur zu kämpfen, sondern zu leben.
«Die zweite Diagnose des metastasierten Brustkrebses konnte ich dann erstmals gar nicht richtig fassen.»
Sie beginnt, von ihrer Erkrankung zu erzählen: «Der Onkologe offenbarte mir schon bei meiner ersten Krebsdiagnose im Januar 2018; der Tumor sei unheilbar.» – Daniela begibt sich direkt in den Kampfmodus: Sie unterzieht sich einer brusterhaltenden Operation, darauf folgt eine Chemotherapie und Bestrahlung. «Die zweite Diagnose des metastasierten Brustkrebses konnte ich dann erstmals gar nicht richtig fassen». Zuvor macht Daniela Ferien in Abu Dhabi, ist topfit. Als sie zuhause in Greifensee ankommt, merkt sie plötzlich, dass etwas mit ihrem linken Bein nicht in Ordnung ist. Sie sucht daraufhin ihren Arzt auf. Dieser findet die ersten Metastasen in den Knochen. «Ich konnte mit dem Begriff noch nicht wirklich viel anfangen.» Während Daniela noch darum ringt, die Diagnose zu begreifen, begegnet ihr Umfeld der Nachricht mit Unglauben: «Ich war immer sehr taff. Bei mir hätte man als letztes eine Krebsdiagnose erwartet.» Welche Konsequenzen die Diagnose für sie haben wird, ist ihr damals aber noch nicht klar: «Ich dachte mir, solange ich noch Fahrradfahren kann, sind mir die Metastasen eigentlich egal.» Daniela ist damals sehr aktiv und verbringt gerne und viel Zeit in der Natur. Sie wandert und fährt liebend gerne Fahrrad. Letzteres geht anfangs noch, das Gehen ist nach der Diagnose jedoch ziemlich schnell nur noch mit Hilfe von Stöcken möglich.
«Ich konnte meinen schlechten Zustand an den Gesichtern meiner Familie ablesen.»
Im Laufe der Zeit breiten sich die Metastasen immer mehr in Danielas Körper aus. Im November 2019, ein knappes Jahr nach der Diagnose des metastasierten Brustkrebs, bricht der erste Knochen: «Beim Aufstehen drehte ich mich im Bett. Dabei brach mein Oberschenkelknochen. Das tat extrem weh.» Daniela wird daraufhin operiert. Es folgt eine harte Zeit. Sie erhält Bluttransfusionen, ihr Zustand verschlechtert sich aber laufend. Drei Wochen verbringt sie in der Klinik. «Eigentlich hatten mich alle abgeschrieben. Mein Körper konnte einfach nicht mehr. Ich konnte meinen schlechten Zustand an den Gesichtern meiner Familie ablesen.» Doch Daniela will noch nicht sterben. Und so kämpft sie. Sie schafft es, so fit zu sein, dass sie nach Davos in die fünfwöchige Reha geschickt wurde. – Doch auch dieser Aufenthalt wird für Daniela zur Zerreissprobe. Sie leidet unter höllischen Schmerzen, vor allem in der Nacht. Ich frage sie, was ihr damals Kraft gegeben hat, wie sie diese Zeit durchstehen konnte: «Hoffnung und tolle Menschen, die mich stützten», antwortet mir Daniela. «Ich erhielt damals von einer Freundin einen silbernen Ring, der das Wort ‘Hope’ formte. Dieser symbolisierte für mich, die Hoffnung nicht zu verlieren.» Das wurde zu ihrem Mantra. Gleichzeitig erlebt sie einen enormen Rückhalt durch ihre Familie. «Es war ständig jemand bei mir, im Krankenhaus, wie auch in der Reha. Irgendwie war es eine sehr schlimme und sehr schöne Zeit zugleich.»
«Ich bin einfach schon zu lange krank. Die Menschen leben ihr gesundes Leben weiter, ich mein krankes.»
Heute hat sich das verändert. Noch immer hat sie ihre Begleiter*innen, die sie bei der Erkrankung stützen, doch die Präsenz der Angehörigen nimmt ab. «Ich bin einfach schon zu lange krank», lacht Daniela. «Die Menschen leben ihr gesundes Leben weiter, ich mein krankes.» So ist sie derzeitig viel alleine. Mühe hat sie damit jedoch kaum: «Ich fühle mich eigentlich nie einsam, selbst wenn ich viel alleine bin.» Durch ihre Krankheit haben sich ihre Tätigkeiten im Alltag im Vergleich zu früher zwar drastisch reduziert, doch meistert Daniela sie nahezu selbstständig: «Ich stehe am Morgen um acht Uhr auf und mache den Haushalt; wasche, koche und putze weitgehend selber.» – Und auch ihre Freude an Pflanzen und Tieren, an der Natur, hat ihr die Krankheit noch nicht genommen. Von ihrer Wohnung blickt sie durch die grosszügigen Fenster direkt auf den Pilatus und die Rigi. Die Natur zu beobachten, das gibt ihr Freude und Kraft: «Ich liebe es, den Jahreszeiten zuzuschauen, wie sie an meinem Fenster vorbeiziehen.» Ausserdem hat Daniela wieder angefangen zu häkeln. «Das habe ich früher schon immer gemacht und es jetzt wieder für mich entdeckt.»
«Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Metastasen bei vielen gleich mit dem Tod assoziiert werden. Wir sind zwar krank, aber leben trotzdem.»
Neben Haushalt und Hobbys ist die Vereinsarbeit ein grosser Teil von Danielas Alltag. Zusammen mit einer Freundin entstand die Idee, einen Raum zu schaffen, in dem Frauen mit metastasiertem Brustkrebs zusammenfinden können. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Metastasen bei vielen gleich mit dem Tod assoziiert werden.» Dieses Klischee will der junge Verein aufbrechen: «Wir sind zwar krank, aber leben trotzdem.» So ist der Verein Metastasierte Brustkrebs Schweiz entstanden. Dieser bietet Betroffenen eine Gemeinschaft und Unterstützung. Wer sich austauschen oder mehr erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, Kontakt aufzunehmen (www.metastasierterbrustkrebs.ch).
Daniela kämpft weiter
Im Laufe der Jahre kamen bei Daniela unzählige Metastasen hinzu, die ihr knapp zehn Zentimeter ihrer Körpergrösse raubten. Heute ist praktisch ihr ganzer Körper befallen. Das auszuhalten, ist nur durch starke Medikamente möglich, die jedoch ihre Schmerzen kaum lindern können. Auch Operationen gehören zum Alltag von Daniela; in regelmässigen Abständen bricht ein Knochen. «Es ist ein Auf und Ab, ein Kampf. Die starken Schmerzen laugen aus, ich verbringe viele schlaflose Nächte.» Doch Daniela hat durch ihre Erkrankung auch etwas gelernt: Hilfe anzunehmen. «Es fiel mir lange schwer, Menschen nach Hilfe zu bitten.» Heute weiss sie, wann sie Hilfe braucht und fordert diese ein: «Aktuell ist das Einkaufen alleine sehr mühsam, weshalb meine Nachbarin das grösstenteils für mich übernimmt.» Es sei schön zu sehen, dass Menschen dazu bereit sind, zu helfen.
Ein Prozess des Annehmens
Daniela blickt auf ihren silbernen, das Wort «Hope» formenden Ring. Noch immer trägt sie ihn am selben Finger wie damals in der Reha.
«Sobald ich keine Freude mehr habe am Leben, so will ich auch nicht mehr hier sein. Aber das Gefühl dieser Lebensfreude ist noch nicht erloschen. – Das ist mein Antrieb.»
Sie wirkt im Gespräch sehr lebendig, erzählt ihre Geschichte, ohne dass ich viele Fragen stelle. «Es ist hart, aber gleichzeitig eine Sache der Akzeptanz. Ich habe gelernt, die Hoffnung nicht zu verlieren und an das Leben zu glauben.» Sie spüre, so sagt sie, innerlich eine enorme Lebensfreude. «Sobald ich keine Freude mehr habe am Leben, so will ich auch nicht mehr hier sein. Aber das Gefühl dieser Lebensfreude ist noch nicht erloschen. – Das ist mein Antrieb.»
Redaktion: Leben mit Krebs, Paula Wollenmann
PP-UNP-CHE-1215 Jan 2025