«Am Leben dranbleiben»: Marthas Weg zurück ins Leben

 

Einst war Martha die erste liechtensteinische Skirennfahrerin, die an Olympischen Spielen teilnahm. Mit ihrem unvergleichlichen Tatendrang ging es nach ihrer Sportkarriere weiter: Martha wurde Hotelbesitzerin, «Championne du Knöpfli», Schneebarbetreiberin. Bis sie der Krebs für einen Moment ausbremste. 

Schon als kleines Mädchen war Martha eine begeisterte Skifahrerin - in einer Zeit, als es im Ländle noch keine Skilifte gab. «Mein Papa hat mich immer den Berg hochgezogen, und ich bin wieder hinuntergerauscht», erzählt sie mit einem Schmunzeln. Schnell wurde klar: Martha ist ein Naturtalent. 

Weil es keine eigene Ski-Frauengruppe für Liechtenstein gab, trainierte sie mit den Abfahrtsmännern. Rennen um Rennen gewann sie, bis eines Tages – 1968 - der grosse Moment kam: «Martha, du fährst nach Grenoble an die Olympischen Spiele», sagte ihr Trainer. Ein unvergesslicher Augenblick – wenn auch einer mit gemischten Gefühlen. «Im Vergleich zu den anderen Skirennfahrerinnen war ich untrainiert. Als ich oben an der steilen Piste stand, sagte ich meinem Trainer: ‚Da fahre ich nicht runter.‘ Aber er antwortete nur: ‚Da musst du durch, es sind die Olympischen Spiele.‘» Martha fuhr – und kam als Letzte ins Ziel. «Aber ich war heil unten angekommen – und das genügte mir», fügt sie lachend hinzu.

Die Olympischen Spiele in Sapporo 1972 wecken hingegen ganz andere Erinnerungen. Diesmal durfte Martha mit den Schweizer Frauen trainieren und war bestens vorbereitet. Am Ende erreichte sie einen stolzen 10. Platz. «Das war mein Moment, den ich nie mehr vergessen werde», sagt sie.

Mit ihrer Teilnahme an den Olympischen Spielen schrieb Martha Geschichte: Sie war die erste liechtensteinische Skirennfahrerin, die bei den Spielen antrat.

«Stillstand war für mich immer ein Fremdwort»

Auch nach ihrer aktiven Skikarriere blieb Martha ihrem Lebensmotto treu: Immer mit Vollgas durchs Leben. Sie heiratete, wurde dreifache Mutter, führte ein Hotel und übernahm später eine Schneebar. Das Kochen wurde zu ihrer zweiten Leidenschaft. Erst gründete sie einen Cateringservice, dann folgte ihr berühmtes Knöpflistudio. Sie wurde zur «Championne du Knöpfli» und ein echtes Original in Liechtenstein. Marthas Käseknöpfli sind auch heute noch bis über die Landesgrenzen binaus bekannt.

«Stillstand war für mich immer ein Fremdwort», sagt Martha mit einem Augenzwinkern. Sie sei immer fit und gesund gewesen, voller Energie und Tatendrang. Auch dann noch, als sich in ihrem Körper bereits der Krebs ausgebreitet hatte.

 

Ein Zwicken im Rippenbereich

Im Winter 2017 läuft Marthas Schneebar auf Hochtouren – es ist kurz vor Weihnachten, Hochsaison, Marthas Bar ist im Ländle längst eine Institution. Mit vollem Elan packt sie wie immer mit an, schleppt Harassen und Waren. Als es plötzlich im Rippenbereich zu zwicken beginnt, denkt sich Martha nicht viel dabei. «Ich dachte, ich hätte mich einfach nur falsch bewegt», erinnert sie sich.

Doch der Schmerz lässt nicht nach, wird sogar schlimmer. Martha beisst durch. «Ich wollte erst nach Neujahr zum Arzt – wenn der Trubel vorbei ist und es wieder etwas ruhiger wird», sagt sie rückblickend. 

Ihr Hausarzt nimmt Martha ernst: «Wenn du jammerst, dann muss es etwas sein», sagt er und veranlasst umgehend ein Röntgenbild. Nichtsahnend wird Martha weiter ins Kantonsspital Chur geschickt, ein CT wird gemacht. Noch denkt sich Martha nicht viel dabei, besorgt ist sie nicht. Auch dann nicht, als sie eine briefliche Einladung von der Onkologie erhält. «Onkologie? Ich wusste noch nicht einmal um welche Fachabteilung es sich handelte», erzählt sie. Ein Bekannter klärte sie auf: «Martha, das ist die Krebsabteilung – das kann doch nicht sein, dass du Krebs hast?» 

 

Metastasen und die Diagnose Multiples Myelom

Doch so war es. Eine Metastase hatte sich bereits in Marthas Rippe «gefressen», daher die Schmerzen. Die Diagnose: Multiples Myelom – eine der häufigsten Blutkrebsarten. Martha hatte noch nie davon gehört, sie informiert sich in den Broschüren, die sie von ihrem Onkologen erhalten hatte. «Ich dachte mir: Martha, da musst du jetzt durch, jammern bringt nichts». Es muss umgehend mit der Therapie begonnen werden: Operation, Chemotherapie und schliesslich eine Stammzelltransplantation. «Während der Chemo war mir ungeheuerlich schlecht, ich habe 10 Kilo abgenommen und so manches Mal gedacht ‘jetzt ist es aus’». Wobei sie das rückblickend relativiert – ans Sterben habe sie nie ernsthaft gedacht, «das sei keine Option gewesen», lacht sie.

 

Der Humor hilft

Und die verlorenen 10 Kilo seien eigentlich das einzig Positive an dem ganzen Übel gewesen. Marthas Humor trägt sie auch durch die schwersten Zeiten – ebenso wie die Unterstützung ihrer Schwester, ihrer Kinder, ihrer Freunde und Bekannten. «Auch die Krebsliga Liechtenstein war eine grosse Hilfe», erzählt sie. Ohne Aufforderung sei eine Dame ans Krankenbett gekommen, habe ihre Unterstützung angeboten und sogar finanzielle Hilfe organisiert. «Das war eine grosse Erleichterung für mich.»

Marthas Geschichte verbreitete sich schnell im Ländle. «Es ging herum wie ein Lauffeuer», erzählt sie. Manche meldeten sich, schrieben ihr, selbst der Regierungschef liess von sich hören. Andere wiederum trauten sich nicht, den Kontakt zu suchen.

 

Schneller wieder zu Hause als erwartet

Für die Stammzelltransplantation muss Martha ins Kantonsspital St. Gallen – die Ärzte sagen ihr, dass sie mindestens drei, eher vier Wochen dort verbringen muss. «Man hat mich isoliert, und mein Immunsystem wurde mit einer Hochdosis-Chemotherapie komplett zum Erliegen gebracht», erinnert sich Martha. Doch der Verlauf überrascht alle. Bereits nach 12 Tagen kommt der Arzt zu ihr und verkündet: «Sie können morgen nach Hause, wir können hier nichts mehr für Sie tun.»

Selbst die Ärzte staunen. «Es grenzte für sie an ein Wunder, wie ich da durchmarschiert bin und wie gut alles angeschlagen hat. Ich war damals ja schon 65 Jahre alt», sagt Martha. Rückblickend glaubt sie, dass ihr der frühere Leistungssport und ihre gute Konstitution geholfen haben. 

Kaum zu Hause, verbessert sich ihr Gesundheitszustand von Tag zu Tag. Ihr Appetit kehrt zurück, das Gewicht steigt, «nach drei Monaten war ich wieder die Alte», lacht Martha. Psychisch habe der Krebs keine Spuren hinterlassen, sagt die heute 72-Jährige. «Man muss das Leben halt nehmen wie es kommt und dann das beste daraus machen». Für sie sei immer klar gewesen, dass sie es schafft, schliesslich habe sie hier auf der Erde noch einiges zu erledigen. «Knöpfli machen etwa». 

Marthas positive Einstellung hat sie durch die schwersten Zeiten getragen – aber vor allem war es der Rückhalt ihrer Familie, ihrer Schwester und ihres guten Freundes Alfred, der sie gestärkt hat. Mit Dankbarkeit blickt sie auf die Unterstützung zurück, die sie erfahren hat. Eine besondere Rolle spielte auch ihr Onkologe in Chur, der sie während der Behandlung mit Fachwissen und Einfühlungsvermögen begleitet hat. Bis heute bleibt der Kontakt zu ihrem Arzt bestehen: «Einmal im Monat fahre ich ins Bündnerland und treffe mich mit ihm. Es ist mir wichtig, ihm mitzuteilen, dass ich ‚gesund‘ bin», erzählt Martha. Bald sind es acht Jahre, seit sie die Diagnose erhalten hat – und jedes Mal, wenn sie ins Bündnerland fährt, fühlt es sich für sie wie ein kleiner Sieg an.

 «Bleibt in Kontakt mit euren Mitmenschen und pflegt eure sozialen Beziehungen. Diese sind so enorm wichtig und wertvoll.»

Wenn man Martha nach Tipps fragt, die sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben würde, ist ihre Antwort ebenso direkt wie inspirierend: «Bleibt in Kontakt mit euren Mitmenschen und pflegt eure sozialen Beziehungen. Diese sind so enorm wichtig und wertvoll.» Auch betont sie die Wichtigkeit, aktiv zu bleiben – körperlich wie geistig. «Am Leben dranbleiben», wie sie es nennt, sei eine Einstellung, die ihr in jeder Lebensphase geholfen habe. Besonders wichtig sei es aber, den Blick auf das zu richten, was man selbst verändern kann: «Manches liegt nicht in unserer Hand, aber für das, was wir beeinflussen können, sollten wir immer unser Bestes geben.» Diese Haltung hat Martha nicht nur durch ihre Erkrankung getragen, sondern macht sie auch heute noch zu einer Inspiration für viele.

 

Redaktion: Leben mit Krebs, Anna Birkenmeier 

PP-UNP-CHE-1219 Jan 2025